Räume

Von Rotraud Hofmann

Sprache: Deutsch
Inhalt: 64 Seiten, farbig
Format: 21 x 29,7 cm, Softcover
Erscheinungstermin: 07.05.2010

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Beschreibung

Katalog mit 43 Arbeiten Rotraud Hofmanns aus den Jahren 2002 bis 2010

April 2010

„Ich denke in Stein“, ist ein Credo Rotraud Hofmanns. Wer so vertraut ist mit dem Arbeitsmaterial wie sie, sagt dies nicht leichthin. Stein heißt hier gestalteter Körper, der erfahrbar wird im und durch den Raum – und im empfindbaren, auch subjektiven Lebens-Raum ersteht eine Möglichkeit zur Zwiesprache mit dem Stein. Stein steht stellvertretend für das mensch­liche Sein, für die Kunst und die Künstlerin, deren Kommunikationsmittel er ist. Rotraud Hofmann, geboren 1940 in Aalen, kam über die Goldschmiede­kunst zur Bildhauerei, die sie von 1960 bis 1966 in Stuttgart studierte – unter anderem bei den Professoren Otto Baum und Herbert Baumann, die ihr Interesse weckten für die verdichtete Form der Skulptur und die innere Verpflichtung, dem Stein seinen Charakter zu belassen. Schon als Rotraud Hofmann die Stuttgarter Akademie erstmals betrat, war ihr sofort klar: Sie wollte nur in Stein arbeiten. „Die Eigenschaften des Natursteins, die unter­schiedlichen Härten, das Spröde, seine Verletzlichkeit, seine oft faszinierenden Farben und Strukturen, das behutsame Hineintasten sind Faktoren, die in meine Arbeit einfließen.“ Das heißt nicht, dass sie ausschließlich mit Stein arbeitet – zuweilen setzt Hofmann ganz gezielt Stahl ein, wenn es darum geht, den Stein zu konturieren oder zu um­grenzen.

Wir dürfen die gefügten, durchbrochenen oder ver­schlossenen Arbeiten von Rotraud Hofmann nicht auf eine strenge Geometrie reduzieren, auch nicht auf die bloße Naturhaftigkeit des Steins. Außer dass er nicht nur etwas über sein ›steinernes‹ Wesen vermittelt, zeigt er vielmehr auch einen Eindruck vom Wesen der Bild­hauerin, die bewusst kaum mehr von sich preisgeben will, als es ihre Steine tun: Emotionale Befindlichkeiten wie Annäherung, Halt finden, Aufbauen vermögen sie zum Ausdruck zu bringen, wie auch Brüche und Zäsuren auf einschneidende Erlebnisse hinweisen. Die Plastik der Künstlerin ist ein Stück Seelenlandschaft, die dem Lärm um uns herum eine Stille entgegensetzt, und sie ist ein Stück Architektur, die Plätze der Einkehr schafft, die im größeren Maßstab bestehen würden.

Dass wir uns auf eine derart metaphysische Ebene einlassen können, liegt an der zeitlosen, unauf­geregten Erscheinung der Hofmann’schen Skulp­turen, die wie symbolträchtige Zeichen im Raum stehen: Kultsteinen gleich, Wegmarken, Denkmalen, Grenzmarkierungen. Der Wille, den Charakter des Steins zu bewahren, ist einem Ethos verpflichtet, der vielleicht nicht up to date ist. Man muss jedoch dieser Dauerhaftigkeit des Steins auch standhalten können. Mehrfach wurden die Skulp­turen der Künstlerin Opfer des Vandalismus, obwohl sie weit entfernt sind zu provozieren, es sei denn, jemand wird sich seiner inneren Schwäche bewusst gegenüber dieser unerschütterlichen Präsenz des Steins. Im Werk von Rotraud Hofmann verbindet sich jene klassische stille Größe mit der Kultivierung emotionaler Kräfte, die Formstrenge mit dem natürlichen Maß an Dissonanz – mit Blick auf die Stellung des Menschen im Raum. Dass Rotraud Hofmann Themen wie die Stele, die Scheibe, das Haus seriell durchspielt und abwandelt, ist ein modernes Anliegen, zeugt es doch von einer ins Existenzielle reichenden Zwiespältigkeit: Auf der einen Seite erkennen wir darin ein nuancen­sicheres Form­bewusstsein, auf der anderen Seite zeigt uns die stete Suche nach der endgültigen Fassung die Zweifelhaftigkeit unsres Daseins auf.

Hofmanns Plastiken sind – bei aller verhaltenen Ver­schwiegenheit – beredt auf eine ursprünglichere Weise, wie ein Seitenblick auf die Poesie zeigt. Eine lebensgroße Stele aus Brasilianischem Marmor heißt Es ist was es ist, nach einem Gedicht von Erich Fried – ein lakonisches Plädoyer für die Liebe. „Es ist Unsinn“, weiß da die Ver­nunft zu berichten, wird vielstimmig unterstützt von der Berechnung, der Angst, der Einsicht, aber auch vom Stolz, von der Vorsicht und sogar von der Erfahrung, aber die Liebe wischt das alles beiseite: „Es ist was es ist/Sagt die Liebe.“ Kongenial übersetzt Rotraud Hofmann den selbstgenügsamen Text, der sich so wenig hinter­fragen lässt wie die Skulptur, in ihre Bildsprache. „Eine Stele“, sagt die Künstlerin, „ist wie das Ausrufe­zeichen in einer Landschaft“. Doch geht Rotraud Hofmann über den möglichen Erlebnischarakter weit hinaus. Ihre Arbeiten sind poetisch gestimmt. „Vielleicht lebst du weiter im Stein“ heißt es einmal bei Hermann Lenz im Spiel mit den Begriffen der Versteinerung und der Zeit. Hofmanns unmittelbarste Quelle ist jedoch immer wieder Fried, der den Stein förmlich beschwört: „Ich lerne im Stein verstehn“, „stehn / und widerstehn“, „Weil wir vielleicht / alle aus Stein bestehn“ (Be­schwörung des Steins). Oder: „Wer die Steine reden hört / weiß / es werden nur Steine bleiben“ (Die Zeit der Steine). Den Stein verstehen heißt, seine Linien als Zeichnungen der Natur zu lesen, seine Farbe als Stimmungsträger zu sehen und seine Struktur – einer Fuge von Sebastian Bach gemäß – als gebautes Haus des Seins wahr­zunehmen.

Situatives wie konkret Erlebtes scheint hintergründig durchaus auf. 2003 etwa entstand anlässlich eines Bildhauersymposions der Weg. Im Kontext eines geriatrischen Klinikums setzte sich Hofmann mit dem Altern auseinander. Aus dem „Weg“ wird somit schnell ein „Lebensweg“ und die eingeschriebenen Linien können mühelos als Lebenslinien durchgehen. Folgen wir ihnen, stoßen wir auf einen ersten Bruch im Stein. Die zwei parallel verlaufenden, eingekerbten Linien gehen leicht darüber hinweg, weil die Naht­stellen hier noch gut zu kitten sind. Im weiteren Verlauf bleibt plötzlich eine der Linien auf der Strecke, die andere spurt sich weiter ihren Weg, bis erneut ein Bruch den Weg kappt. Zunächst fügt sich der Stein nicht mehr so akkurat zusammen, schließlich gar nicht mehr. Die übrig gebliebene Linie bleibt in ihrer ›Lese‹-Richtung allein, ein Zurück gibt es nicht mehr. Unser Leben mag geradlinig verlaufen, im sozialen Umfeld mehrlinig, am Ende – gezeichnet von Verlust oder Trennungen – ist das letzte Stückchen Wegs oft einsam.

Rotraud Hofmann geht insgeheim mit menschlichen Verletzungen, mit Schmerzen um, die im Stein einen zeitlosen, abstrakten Ausdruck finden. Parallelen gibt es zu Eduardo Chillida, der mit seiner sogenannten „Architektur der Leere“ bezwingende Räume schuf, ähnlich wie Rotraud Hofmann einer Zahlensymbolik huldigte und zudem – wie sie – ein zeichnerisches Werk entfaltete, das der Plastik an die Seite tritt. Der erlebte und der erahnte, da heißt der Zeit- und der Lichtraum, der imaginierte und der kosmische Raum machen aus den Steinen eine Architektur, eine Landschaft oder ein rhythmisches Stimmungsbild – mit gefugten Verbin­dungen, Spannungen und Bruchstellen. Im Hofmann­schen Werk begegnen wir Arbeiten, die wir als Orte der Kontemplation und Sehnsucht erfahren. Tor oder Mein Haus, aber auch Hängender Stein, Zwischenraum, Überbrückung, heißen sie oder – auf den ersten Blick geheimnisvoll – Tiwanaku, Cusco, Nasca, steinerne Scheiben, die von Artefakten der Inkas inspiriert sind und sich einer kultischen Interpretation öffnen. Auch das Tor etwa weckt in diesem Kontext unmittelbare Assoziationen mit Tempeln der präkolumbischen und auch der ostasiatischen Kultur. Das ist nicht abwegig, hat Rotraud Hofmann diese Länder doch mit ihrem Mann bereist, der sich als Kunstsammler in beiden Kulturkreisen einen Namen gemacht hat.

„Nach jeder Arbeit“, sagt Rotraud Hofmann, „bin ich jemand anderes“. Gerade die abstrakte Kunst schreitet in Nuancen vorwärts, angespornt von den Erkenntnissen der früheren Arbeiten, geprägt auch vom gelebten Leben. „Es ist unmöglich, zweimal in denselben Fluss hineinzusteigen“ – dieser dem Heraklit nachgesagte Aphorismus, der in dem verkürzten „panta rhei“ (Alles fließt) kulminiert, findet hier ausgerechnet im nach außen hin unbewegten Stein seine Entsprechung, er ist es schließlich, der das Fließen, um im Bild zu bleiben, etwa im Flussbett oder übertragen im Strom der Zeit als erster hautnah spürt. Rotraud Hofmann spürt wiederum ihm nach, vielleicht Die drei Steine von Erich Fried im Sinn. Denn auch ein Stein wandelt sich von Mal zu Mal.

Vorwort von Günter Baumann