Vernissage am 14.11.2019

„insieme” – gemeinsam – Wege und Kreuzungen
Malerei und Skulpturen von Hans Mendler

Irene Ferchl zur Ausstellung in der Galerie Neuer Kunstverlag, Waiblingen

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde, lieber Hans,

einen sehr schönen Titel hat diese Ausstellung auch deshalb, weil nicht nur die Zusammenarbeit mit Martin Frischauf (Schwabenrepro) und Hendrik Schulze Kalthoff (Neuer Kunstverlag / Pars pro toto) damit angesprochen wird, ihre Gemeinsamkeit auf dem gestalterisch-drucktechnischen Feld – die 27. Jahresgabe ist in Arbeit! Sondern, weil die »Wege und Kreuzungen« noch viele weitere Menschen einbeziehen, darunter Christina Ossowski und mich, die sich seit Anfang der 1990er Jahre mit den Kunstwerken von Hans Mendler beschäftigen. Damals konnte man seine Arbeiten mit den Begriffen »Farbrausch« und »Kraftfeldern« beschreiben, doch zwischen der Abstraktion und expressiven Kompositionen durchaus gelegentlich Gestalten erkennen, oder Dinge wie eine Masken oder eine Kronen, die im Lauf der Zeit zu Chiffren wurden.

Zwar ist diese Ausstellung keine Retrospektive, aber neben Gemälden aus den letzten zwei, drei Jahren sind hier einige frühere zu sehen, bei denen man trotz sprechender Titel (»Paradiso«, »Summertime«, »Limone«, »Feldstücke«) noch bemerken durfte: »gib den Dingen keinen Namen«, sondern stürz’ dich in das Abenteuer der Entdeckungen! Und bemerke bitte, dass Hans Mendler vor Gerhard Richter bunte Streifen – und zwar viel schönere – gemalt hat …


2 Wächter, 2013 / Limone, 2008

Diese Bilder haben im Lauf der Zeit nichts eingebüßt von ihrer heiteren Stimmung; die Konfrontation von Farbe und Strich, Fläche und Linie und eingearbeiteten, aufgeklebten Fundstücken (aus Papier oder Blech) fasziniert bis heute, doch was wir bei der Jahrtausendwende »Magie der Zufälle« genannt haben, ist zwar nach wie vor das Resultat eines ständigen Einlassens des Künstlers wie der Betrachter in Unbekanntes – es hat sich aber gewandelt: von der Farbenfischerei zum Spiel mit Figurativem.


Paradiso, 2000 / Figur 1, 2018

An der Dynamik und dem hintergründigen Witz, an der humorvollen Narration und der spannenden Vieldeutigkeit hat sich jedoch nichts geändert. Und schon gar nichts daran, dass Hans Mendler sich selbst auch darin treu geblieben ist, Erlebnisse und Begegnungen und eben zufällige Funde, fiktive ebenso wie reale einzuarbeiten.

»Du darfst nichts rumliegen lassen – schwupp, ist es schon in einem Bild!« erzählte er neulich lachend im Atelier. Dann kamen wir auf seine Kindheit und Jugend zu sprechen, wie er in seiner Heimatstadt Ulm herumlief und den Schulbesuch über den Eindrücken der Stadt völlig vergaß … und dass er schon als Schüler Faschingsdekorationen gebastelt hat … und wie er als 16-Jähriger nach Paris fuhr und in Brancusis Atelier über die Fülle staunte und sich wünschte, auch einmal so viele Kunstwerke um sich zu haben … geschafft, würde ich sagen. Und Constantin Brancusis reduzierte, kubistisch-abstrakte Skulpturen haben bei Mendler Spuren hinterlassen: die »Verneigung« steht auf einem Sockel, der an dessen »Endlose Säule« erinnert – überhaupt die Rolle und Bedeutung der Sockel …

Bleiben wir gleich beim Thema der Holzskulpturen, die mit der Kettensäge aus Eiche, Kirsche, Walnuss herausgeschnitten werden, herausgeholt werden aus Stämmen, kantig und rau, teils mit Farbe gefasst und trotz der imposanten Größe von sehr differenziertem Ausdruck – mal schwermütig, mal heiter, zuweilen auch beides zugleich.

Die beiden »Wächter«, die schon wegen ihrer Höhe von zweieinhalb Metern beeindrucken – sie scheinen zu schlafen oder zu träumen und wären mit nur einer Schulter, beziehungsweise einem Armstumpf im Zweifelsfall nicht wirklich schlagkräftig. Ihre Eichen-Säulen stammen aus Ungarn, wo sie für die Arkaden / Laubengänge der typischen Häuser gedrechselt wurden. Auch das »Rehlein« ist mannshoch (wenn man das sagen darf) dank der Stele auf zwei Podesten und es besitzt deutlich einen Tierschädel. Oft finden sich Mischwesen mit menschlichen Köpfen und langen Hasenohren oder Hörnern oder seltsamen anderem Kopfputz … Bei der »Verneigung« weiß man auch nicht genau – beinahe wollte ich an eine Jakobinermütze denken, wobei sie als Freiheits- und Unabhängigkeitssymbol ein bisschen der sich neigenden Haltung widerspricht …

Das Material spricht bei Mendler immer mit, der Holzstamm oder Balken bestimmt mit seiner Härte, seinem Wuchs, seiner Maserung, was am Ende daraus entsteht. Ein »sitzender« Mensch von unbestimmtem Geschlecht, konzentriert und in sich ruhend, ein »Schamane«, dessen Oberfläche aus Seidenpapier und Wachs ihm eine geheimnisvolle Patina verleiht, oder eine »Donauwelle«, trotz oder gerade durch die liegende Position von einer mühsam gezähmten Kraft – sanft ist hingegen ihr breites Gesicht unter dem schönen blauen Hut. In dieser Skulptur steckt, denke ich beides: der romantisch aufgeladene Fluss (die schöne blaue Donau) ebenso wie der gewaltige Strom. Vielleicht haben Sie ganz andere Assoziationen?


Donauwelle, 2013

Mit seinen Titeln lenkt Hans Mendler unsere Phantasie in bestimmte Richtungen oder verwirrt mit frechen Benennungen: »Made in China« – klingt das nicht stark nach distanzierendem Understatement?

Die beiden von weitem hübsch-bunt anzuschauenden Püppchen wie aus dem Kaiserpalast bekommen auf den zweiten Blick etwas Diabolisches mit ihren maskenhaften Gesichtern und die rechte mit den Teufelshörnchen. Und man denkt sicher nicht zufällig an Velasquez und die spanischen Infantinnen. Den Hintergrund, jedoch nicht die gesamte Leinwand bedeckend, bilden ornamentale Muster wie von einem Vorhang – dazu benutzt Mendler Tapetenroller, von denen er ein ganzes Sortiment besitzt, irgendwo, irgendwann einer ungarischen Zigeunerin abgehandelt. »Made in China« kann also durchaus Qualität besitzen, muss kein Plagiat sein …


Made in China, 2019 / run for your life, 2017

Masken und Kostümierungen finden Sie hier zahlreich: im »Panoptikum«, einem Gemälde aus diesem Jahr, schweben sich verselbständigend drei Köpfe aus dem Wachsfigurenkabinett oder der Wunderkammer im Raum, alles ist ein bisschen wild und verwirrend, nicht zuletzt die drei bunten UFOs, die sich bei näherem Hinschauen als Paletten entpuppen: da sind dem Künstler die abgezogenen Acryl-Farbhäute ins Bild gerutscht. Und die haben durchaus auch etwas maskenartiges …


Meister, 2018 / Panoptikum, 2019

Zwei Serien aus dem letzten Jahr, 2018, sind hier mit einigen Beispielen vertreten: zum einen der »Meister« aus dem Codex Manesse, der Sammlung von mittelhochdeutscher Dichtung, die um 1300 niedergeschrieben und reich illuminiert wurde. Hans Mendler ist zufällig auf einen Band mit Reproduktionen gestoßen und hat sie übermalt – Sie finden Abbildungen und einen sehr schönen Text dazu von Christina Ossowski im Katalog »Rote Reiter. Lust am Spiel« und ich möchte Ihnen ein Zitat daraus vorlesen: »Ein bedeutender Herrscher, Kaiser Heinrich, gleicht in der Illumination des Codex Manesse den mittelalterlichen Münz- und Siegelbildern, frontal sitzend, mit starrem, symmetrisch geformten Gesichtszügen und einem edlen blauen Tuch auf den Knien. Mendlers Paraphrase [mit dem Titel »Meister« erscheint als] Zaubermeister mit janusköpfigem Gesicht. Zusätzlich kann er sich in eine gestrenge gelbe Physiognomie und in ein staunendes blaues Antlitz rechts und links seines Doppelkopfes verwandeln. Alle drei Gesichter fixieren den Betrachter. Zu alledem steigt ein rätselhaftes Wesen aus einer Schale auf, die der Meister auf dem Kopf balanciert. Mit dieser Show verblüfft man jedes Publikum.« (Soweit Christina Ossowski)

Die zweite Serie heißt »Commedia dell’Arte«, zu der ich das Vergnügen und die Ehre hatte, für denselben Katalog etwas zu schreiben, so dass ich nun mich gekürzt zitieren darf: Natürlich war es in Venedig, wo Hans Mendler vor Jahren auf Postkarten stieß: Reproduktionen von alten Drucken mit Darstellungen von Arlecchino, Pulcinella und Pagliaccio, der Colombina, dem Capitano und Dottore. Seinem Hang zu den Spielleuten und Gauklern, Jongleuren und Clowns kamen die Figuren der Commedia dell’Arte natürlich sehr entgegen. Dieses im Italien des 16. Jahrhunderts entstehende Volkstheater, mit einem überschaubaren Repertoire von Typen und Handlungen, ohne feststehenden Text, stattdessen mit viel Improvisation, lebt von wiedererkennbaren Masken und Kostümen. Gespielt wurde vorwiegend auf Straßen und Märkten, die mobilen Theatertruppen reisten von einer Stadt zur anderen und machten die Commedia dell’Arte in ganz Europa bekannt.

Humor, Masken und Improvisation sind drei wesentliche Elemente – besonders die Arbeit ohne Drehbuch, das Spiel nach Lust und Laune, greift Hans Mendler auf und lässt die Schauspielerfiguren auf seinen Bildern abenteuerliche Sprünge, Verrenkungen und akrobatische Gags vollführen.

Dazu zerschneidet er die Figuren, kombiniert verschiedene Körperteile, lässt Gliedmaßen herumfliegen oder tauscht sogar die Typen gegeneinander aus. Ein erster Arbeitsschritt, das Collagieren und Übermalen, ergibt kleine Formate, bei deren Betrachtung man papierene Ausschneidepuppen assoziiert oder das surrealistische Spiel des »Cadavre Exquis«, in dem der Zufall die Entstehung von Text oder Bild bestimmt.

Die grellbunten Gewänder und Kopfbedeckungen, die nicht zuletzt durch die Halbmasken grotesk wirkenden Gesichtsprofile der Reproduktionen in Kombination mit einem leuchtenden Hellblau, einem Sonnengelb oder starkem Rot-Pink als gemalter Hintergrund beziehungsweise Umrahmung, anders gesagt: die detaillierte gedruckte Figurenzeichnung und dazu ein spontaner, pastoser Pinselstrich oder eine aquarellierte Flächigkeit verleihen den Blättern einen faszinierenden Reiz von frecher Improvisation.

Für Hans Mendler bildeten sie anschließend Vorlagen für die Großformate, bei denen er die Figuren noch einmal verfremdet. Doch es finden sich die bekannten Elemente wie die Tambourin schlagende Colombina, den halb einfältigen, halb unheimlichen, bärtigen Pantalone, der zum schier doppelköpfigen Capitano mutiert, und nicht zuletzt der Arlecchino, dem der Tod in Gestalt des Sensenmanns im Nacken sitzt (oder auf der Nase tanzt?) – allerdings gibt der Harlekin den Stab noch nicht ab.


Il capitano, 2018 / Colombina, 2018 / Pagliaccio, 2018 / Arlecchino, 2018

Vergleichbar im malerischen Duktus, aber noch beweglicher und auffallend großäugig sind die Gestalten auf Bildern, die zwischen 2017 und 2019 entstanden sind wie »You better run«, »The new Generation« oder »Und ich …?«, auf dem sie davon tanzt und ihn stehen lässt. Wir erfreuen uns an kleinen Episoden und denken bei dem Woher und Wohin, bei den Umrisszeichnungen und Kratzspuren vielleicht an eine Kunstrichtung, die für Hans Mendler ganz wichtig geworden ist: die Art brut. Da ist zum einen Jean Dubuffet – an den die Kratzbilder erinnern: die kleineren schwarzen »Mit Pferd« und »König Drosselbart« sowie der hochformatige »Kanonenkugelreiter« und das große blaue »Honky Donk«, – zum anderen die Kunst »naiver« oder psychisch kranker Menschen aus der Heidelberger Prinzhorn-Sammlung und aus Gugging / Kloster Neuburg. Dort hatte der österreichische Psychiater Leo Navratil 1946 in der damaligen Heil- und Pflegeanstalt begonnen, sich mit der Kunst, der »Bildnerei von Geisteskranken« zu beschäftigen – ich benutze hier die Begrifflichkeit von Hans Prinzhorn, der schon 1922 ein Standardwerk zu diesem Thema verfasst und seinerseits eine Institution in Heidelberg, die besuchenswerte Sammlung Prinzhorn begründet hat. Das »Haus der Künstler« in Gugging hingegen ist ein lebendiges Zentrum der »Art brut«, zurückgehend auf den französische Künstler Jean Dubuffet, der in der Nachkriegszeit in der Pariser Szene auftauchte und zwar mit »primitiven Materialbildern«, mit einer explizit nicht-intellektuellen Kunst, die er als »Art brut« (rau, ungeschliffen) bezeichnete, angeregt von den Bildern von Kindern und Geisteskranken und den Fotografien von Graffitis eines Georges Brassai – das waren damals noch Einritzungen, keine Spray-Bilder.

Hans Mendler, als studierter und lange am Gymnasium unterrichtender Künstler, ist fasziniert von dieser Art Kunst – ich denke, sie gibt ihm die Freiheit, spontan und unbekümmert zu arbeiten. Nicht Individuen werden dargestellt, sondern Archetypen – ähnlich ja auch bei Kinderzeichnungen, Umriss, Striche für Arme und Beine. Nur dass es bei ihm Absicht und Können ist, wenn die Arme verlängert sind und die Anatomie auch sonst nicht der Realität entspricht. Ein Werk möchte ich zum Schluss noch ansprechen, mein Lieblingsbild (ganz hinten im Schaufenster): »Rinascimento« – und das hat nichts mit der italienischen Modefirma (die man bei der Google-Suche als erstes findet) zu tun, sondern mit dem Wort für Wiedergeburt, wir benutzen in der Regel das französische und sagen Renaissance.

Hier lässt sich beispielhaft einiges von Hans Mendlers Arbeitsweise nachvollziehen: die Grundlage der Zeltleinwand mit diagonalen Nähten als Zufall zum Bild-Erfinden, die aufgebrachten Tapetenmuster für den Hintergrund, dekorativ, aber nicht zu sehr, als Monotypie aufgebrachte (aufgeklatschte) Farbe, die dann zum Teil wieder abgespritzt wird. Das Ergebnis ist eine sanfte Explosion, ein trotz seiner zurückhaltenden Farbigkeit faszinierendes, vielschichtiges Werk, das uns bei aller Rätselhaftigkeit auf den ersten Blick anspricht, aber vermutlich bei jedem von uns anderes auslöst. Vielleicht sprechen wir gleich beim Wein darüber?

Erst einmal danke ich herzlich für Ihre Aufmerksamkeit!

© Text: Irene Ferchl, November 2019

© Fotografie: Joschka Silzle