Klaudia Dietewich, Buchvorstellung am 01.02.2024
Vanishing Universe
Klaudia Dietewich
Als ich vor einiger Zeit in einer Ausstellung (Kunstbezirk im Gustav-Siegle-Haus, Stuttgart, 2023) zum ersten Mal mit einer Auswahl aus der Werkgruppe Vanishing Universe von Klaudia Dietewich konfrontiert war, hatte ich von der Künstlerin die Vorinformation, dass es sich dabei um eine Folge von Fotoarbeiten handle, die auf Eindrücke einer Reise durch die Antarktis zurückgehe. In der unmittelbaren Begegnung nun mit diesen Arbeiten spielte es für mich aber erstaunlicherweise zunächst überhaupt keine Rolle, in welcher künstlerischen Technik dieselben tatsächlich ausgeführt sind und welche Sujets oder topografischen Details sie betreffen mögen.
Die Reihe der dort gezeigten „Bilder“ – Bilder in einem weiteren Sinn verstanden als Bilderfahrungen der uns umgebenden Welt – enthoben sich in ihrer ephemeren Wirkung nämlich unversehens der meterhoch schweren Wände des klobigen Ausstellungsraums. Sie hätten ebenso gut wie Fotografien auch Malereien sein können, mit dem Schmelz nuanciert sich überlagernder Farblasuren. Oder aber Zeichnungen im fein ausdifferenzierten Wechselspiel von Licht und Schatten. Oder vielleicht doch druckgrafische Blätter, etwa die einer versierten Bildhauerin, deren vielgestaltige Oberflächenstrukturen die handgreiflich physischen Bearbeitungsprozesse auf den zugrundeliegenden Platten und Stöcken widerspiegeln.
Die aktuelle Publikation Vanishing Universe von Klaudia Dietewich greift die Unmittelbarkeit die Wirkung dieser Fotoarbeiten jedenfalls auf bemerkenswerte Weise auf. Schon von Weitem besehen gibt sie sich gerade nicht als lifestyletauglicher Fotobildband in Hochglanzmanier aus – allein schon der Titel auf dem Cover verschwebt in einer atmosphärischen Weite oder fast unsichtbar zum unteren Rand hin. Und trotz der erstarrenden kühlen Farbigkeit der Abbildungen von Wasser, Schnee, Eis, Fels und Gestein liegt es beim Blättern doch angenehm weich in der Hand, um auch als Buchobjekt deutlich zu machen, dass das, was wir mit den Empfindungen eines scheinbar menschenfeindlichen Lebensraumes verbinden, durch und durch mit unserer eigenen Existenz – und damit unserem Überleben – zusammenhängt.
Nicht von einem anderen Stern also, sondern ganz und gar aus dieser Welt stammen diese Bilder eines – keineswegs allmählich, sondern in rasender Geschwindigkeit –verschwindenden Weltalls (Vanishing Universe). Die Zerstörung ursprünglicher Natur als der existenziellen Lebensgrundlage des Menschen ist in der fotografischen Serie von Klaudia Dietewich jedoch auf eine eher still beobachtende Weise festgehalten, die ohne vordergründigen klimapolitischen Protestanspruch auskommt. Unter dem Eindruck ihrer Erkundungsreise durch die Antarktis sind vielmehr Aufnahmen entstanden, die zwischen gesehener Wirklichkeit einerseits und dem für völlig unwirklich Gehaltenen andererseits hin und her changieren. Die gewaltigen Elementarkräfte der Natur erscheinen so paradoxerweise gleichzeitig im Verlust ihrer eigenen Wirkmächte begriffen, den die anhaltende Umweltverschmutzung verursacht. Ein tiefes Erstaunen setzt ein, angesichts dieser urtümlichen Naturlandschaften und im selben Moment doch auch ein ungläubiges Staunen vor ihrem durch unser Verhalten beschleunigten Verschwenden und Verschwinden.
Immer wieder hat Klaudia Dietewich auf ausgedehnten Reisen Wegezeichen – etwa zufällige Rissbildungen im Straßenasphalt, Fahrbahnmarkierungen, Spuren von Autoreifen u.ä. – anhand von umfangreichen fotografischen Werkgruppen gesammelt. Auf Baryt-Abzügen oder auf Alu-Dibond nahsichtig fokussiert gleichen auch sie abstrakten Malereikompositionen oder gestischen Zeichnungen. Handelte es sich bei diesen Arbeiten jedoch um menschengemachte Bezeichnungsspuren, die sich – häufig mittels technischer Apparate vorgenommen – auf dem Untergrund des Erdbodens ausgebreitet haben, „zeichnet“ nun mit der Folge Vanishing Universe die Natur selbst (und ist von menschlichem Missverhalten in schmerzlichem Sinne gezeichnet). Nicht mehr Schichten sukzessive angelagert, sondern Jahr für Jahr, Tag für Tag – in umgekehrter Richtung – Sediment um Sediment unwiederbringlich abgetragen, gibt die Erde so in der Fotografie die inneren Gesichte(r) ihrer Vorvergangenheiten für einen kurzen Augenblick preis.
Zwischen zwei Polen, Arktis und Antarktis – Meer von Land umringt, Land von Meer umgeben –, inmitten der einstmals unterstellten Ewigkeit des Eises und einem unaufhaltbaren Verschwinden: Wie fahle Traumgebilde ragen die lavaschwarzen Landmassen aus den Schneefeldern empor, feingratige Silhouetten an den hoch aufgetürmten Berggipfeln, die abwärts in ein weiches Weiß zerfallen, sowohl die See darunter als auch der Himmel darüber ruhig verhaltene Flächen. Rotalgige Lichter glimmen unter den riesigen Eisschorfen hervor, ein bedroht-bedrohliches Niemandsland öffnet sich da vor uns – jenes inwendige Leuchten, in dem unvermutet Jahrmillionen verborgenes Pflanzenleben möglich ist, das gut und gerne auch ohne den Menschen hätte auskommen können.
Clemens Ottnad
M.A., Kunsthistoriker
Geschäftsführung des Künstlerbundes Baden-Württemberg
Februar 2024
Zur Ausstellung ist ein 96-seitiger Kunst-Bildband erschienen: