Christoph Traub / Wolfgang Ganter – Infinite Materia

Von Christoph Traub & Wolfgang Ganter

Sprache: Deutsch 
Inhalt: 60 Seiten, farbig
Format: 14,8 x 21 cm, Softcover
Erscheinungstermin: 07.05.2025

Herstellerangaben gemäß Verordnung über die allgemeine Produktsicherheit (GPSR)

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Beschreibung

Infinite Materia

Christoph Traub & Wolfgang Ganter

Mit Infinite Materia begegnen sich zwei künstlerische Positionen, die unterschiedlicher kaum sein könnten – und sich gerade darin faszinierend ergänzen. Christoph Traub und Wolfgang Ganter verbindet eine tiefe Auseinandersetzung mit dem Wesen von Materialität, mit Prozessen der Transformation, mit dem Verhältnis von Form und Auflösung. Ihre Arbeiten bewegen sich im Spannungs­feld zwischen dem Sichtbaren und dem Prozesshaften, zwischen Körper und Struktur, zwischen der Konkretion des Steins und der Flüchtigkeit chemischer Reaktionen.

Dieser Kunstkatalog begleitet die Ausstellung, in der sich Christoph Traub und Wolfgang Ganter erstmals begegnen und bietet zugleich einen erweiterten Einblick in das Denken, Fühlen und Forschen zweier außergewöhnlicher künstlerischer Positionen.

Der Stein als Speicher – Christoph Traub

Christoph Traub, geboren 1964 in Stuttgart, absolvierte ein Bildhauerpraktikum bei Prof. Fritz Nuss und eine Lehre als Steinbildhauer bei Hans Neuwirth, bevor er sein Studium an der Kunstakademie Karlsruhe bei Prof. van Dülmen aufnahm. Seit 1990 arbeitet er als freischaffender Künstler und ist Mitglied in verschiedenen Künstlervereinigungen wie dem VBKW, BfB, Kunstverein Schorndorf und Sculpture Network. Seine Werke wurden in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland präsentiert, und er nahm an Symposien in Ländern wie Ägypten, Belgien, China, Frankreich, Indien, Schweiz, Türkei, Syrien und Albanien teil.

Traub widmet sich insbesondere der Arbeit mit Naturstein. Sein bevorzugtes Material ist dabei nicht zufällig gewählt: Basalt, Granit oder Jurakalk sind ­Gesteine mit hohem Eigengewicht, aber auch mit einer Geschichte, die buchstäblich in ihre Struktur eingeschrieben ist. Der Stein als gewachsenes, geologisches Archiv ist Träger von Zeit und Zeugnis von Wandlung. Traub nutzt diese Qualität nicht als bloßen Werkstoff, sondern als ­aktiven Teil seiner Formensprache.

Die Körper, die aus dem Stein hervortreten, sind keine vollständigen Abbilder. Vielmehr handelt es sich um Fragmente – Torsi, Gliedmaßen, angedeutete Bewegungen. Anatomische Genauigkeit ist nicht das Ziel. Es geht um Geste, um Haltung, um das Fragmentarische als Ausdruck des Unvollendeten. Diese Unvollständigkeit ist nicht Zeichen von Verlust, sondern ein ästhetisches Mittel, das Interpretationsräume öffnet. Die Skulpturen sprechen von Verletzlichkeit, Erinnerung und Vergänglichkeit – und stehen dabei zugleich in einer erhabenen Ruhe.

Auffällig ist das Spiel mit Oberflächen: In vielen Arbeiten setzt Traub den natür­lichen Charakter des Steins gegen glatt polierte Partien. Das Wechselspiel von Glanz und Rohheit erzeugt eine visuelle Spannung, die der Skulptur eine zusätzliche Tiefe verleiht. Diese Dualität von Natürlichkeit und Bearbeitung ist zentral für sein Werk. Sie verweist auf die Beziehung zwischen Mensch und Natur, auf das Eingreifen und Formen, aber auch auf das Respektieren des Vorhandenen. Der Künstler ringt nicht gegen das Material – er arbeitet mit ihm, folgt seinen Linien, Brüchen und Widerständen.

Einige Werke erinnern an archaische Arte­fakte: als hätte man sie ausgegraben, als wären sie Überreste vergangener Kulturen. Diese archäologische Anmutung ist bewusst gesetzt – Traub interessiert sich für das kulturelle Gedächtnis, das sich in Formen einschreibt. Seine Skulpturen stehen gleich­sam außerhalb der Zeit: Sie wirken uralt und zugleich modern, reduziert und komplex. In ihrer Materialität verweben sie Geschichte und Gegenwart, Sinnlichkeit und Strenge, Figuration und Abstraktion.

In seinen Arbeiten mit Bronze zeigt sich ein ähnliches Prinzip. Auch hier spielt die Oberfläche eine zentrale Rolle – Patina trifft auf Glanz, Vertiefung auf Lichtkante. Der Gussprozess selbst trägt bereits den Moment der Transformation in sich: vom Modell zur Form, vom flüssigen Metall zur Skulptur. Traub nutzt diese Eigenheiten des Materials, um Körperlichkeit neu zu denken – nicht als abgeschlossene Form, sondern als energetisches Zentrum, als Spannungsträger im Raum.

Mikroskopische Welten – Wolfgang Ganter

Wolfgang Ganter, geboren 1978 in Stuttgart, studierte an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe bei Prof. Andreas Slominski und schloss als Meisterschüler ab.

Seine Arbeiten bewegen sich im Grenzbereich zwischen Kunst und Wissenschaft, zwischen Atelier und Labor. Ganter forscht, experimentiert, ­provoziert Reaktionen – ­und macht deren Ästhetik sichtbar.

Was auf den ersten Blick wie ­mikroskopische Aufnahmen geologischer Strukturen oder kosmischer Nebel anmutet, sind in Wirklichkeit hochkomplexe Kompositionen, die aus chemischen Reaktionen hervorgehen.

Die Grundlage seiner sogenannten Micropaintings sind kleine Glasträger, auf denen er verschiedene Substanzen – etwa Alkohol, Gleitgel, Öl, Säuren oder Farbstoffe – aufträgt. Diese Stoffe reagieren miteinander, bilden Kristalle, Blasen, Ausfällungen. Ganter fotografiert diese Prozesse mit Hilfe eines Mikroskops in Hunderten von Einzelaufnahmen. Der entscheidende Schritt folgt anschließend: Mit einer Stitching-Software setzt er die Aufnahmen zu großformatigen Kompositionen zusammen. Dabei entstehen visuelle Landschaften, die gleichermaßen abstrakt wie organisch ­erscheinen.

Ganter ist kein bloßer Beobachter dieser Prozesse – er greift ein, steuert, provoziert. Durch Temperaturveränderungen, durch die genaue Dosierung und das zeitlich abgestimmte Zusammenspiel der Substanzen lenkt Ganter gezielt die chemischen ­Prozesse. Er bleibt dabei in einem Spannungsfeld zwischen Kontrolle und Zufall: Das Werk entsteht im Zusammenspiel von künstlerischer Intention und naturwissenschaftlicher Selbstorganisation. Dieser „Laborblick“ prägt seine Ästhetik – eine Ästhetik des Werdens, der Instabilität und der Schönheit im Moment des Übergangs.

Die Werke changieren zwischen Mikro- und Makrowelt, zwischen wissenschaftlicher Präzision und künstlerischer Imagination. Mal erinnern sie an Zellstrukturen, mal an Galaxien, mal an organisches Wachstum oder tektonische Verschiebungen. Sie öffnen Assoziationsräume, die sowohl das Innere als auch das Äußere des Sichtbaren berühren.

Formal beeindrucken die Werke durch ihre intensive Farbigkeit, ihre fast leuchtende Bildtiefe und eine Bewegung, die durch das Auge hindurch ins ­Bildinnere zieht. Die Kombination aus analog erzeugtem Material und digitaler Weiterbearbeitung verleiht ihnen eine besondere Eigenständigkeit. Es sind ­keine klassischen Fotografien, keine Malereien, keine wissenschaftlichen ­Studien – sondern etwas dazwischen: visuelle Erkenntnisräume im Schwebezustand.

Materie als Prozess – Das Verbindende

So unterschiedlich Christoph Traub und Wolfgang Ganter in ihren künstlerischen Ansätzen sind, so eng verwandt sind sie im Denken. Beide begreifen Materie nicht als statisch, sondern als lebendig, formbar, im Wandel begriffen. Beide interessieren sich für den Moment der Transformation – sei es der Übergang vom Steinblock zur Skulptur oder der chemische Prozess im ­Mikroskop. Und beide erkennen in der Materialität eine eigene Sprache: ­
eine Sprache, die nicht vollständig kontrollierbar ist, die Widerstand leistet, die sich aber zugleich offenbart – wenn man ihr mit Geduld und Achtsamkeit begegnet.

Infinite Materia ist ein Titel, der nicht nur auf die Vielfalt der verwendeten Materialien verweist, sondern auch auf die Unendlichkeit der Möglichkeiten, die in ihnen stecken. Materie ist in diesem Sinne nicht das Gegenteil von Geist, sondern sein Resonanzkörper. Sie trägt Informationen, Geschichten, Potenziale. In den Händen von Traub und Ganter wird sie zum Ausdrucks­träger für Fragen nach dem Verhältnis von Mensch und Welt, von Zeit und ­Erinnerung, von Ordnung und Chaos.

Die Gegenüberstellung der Werke beider Künstler in dieser Ausstellung ist ­bewusst keine Gegenüberstellung im Sinne einer Konfrontation, sondern eine dialogische Anordnung. Die Skulpturen Traubs und die Bildwelten Ganters ­treten in Resonanz miteinander – sie betonen sich gegenseitig, setzen Kontra­punkte, eröffnen Zwischenräume. Es ist ein Dialog von Stille und Bewegung, von Masse und Licht, von Gravitation und Auflösung.

In diesem Spannungsfeld liegt die große Stärke der Ausstellung – und auch dieser Publikation: Die Katalogseiten dokumentieren nicht nur die Werke, ­sondern laden ein zum Nachdenken, zum Innehalten, zum Wahrnehmen.

Sie zeigen, wie vielfältig künstlerischer Umgang mit Materialität sein kann – und wie vielschichtig die Geschichten sind, die in Stein, in Farbe, in chemischen Reaktionen verborgen liegen.

Infinite Materia ist eine Erkundung des Sichtbaren und des Unsichtbaren, eine Einladung, das Werden im Sein zu entdecken – und die Kunst als lebendigen Prozess zu begreifen.

Nadine Müller, Mai 2025

 

Quellennachweis:

  • www.christoph-traub.de
  • www.wolfgangganter.de
  • Carolin Wurzbacher, Wolfgang Ganter – Micropaintings, Neuer Kunstverlag, Oktober 2021
  • Dr. Sabine Heilig, Im Wesen begründet, Neuer Kunstverlag, April 2023